Ganz sanft gespielte Töne, fast verspielt, aber mit einer nachdenklichen, träumerischen Note, begleiten mich, während ich die ersten Bilder von Gris erlebe, die erste Vorstellung sozusagen, die sich sehr unaufdringlich als Tutorial versteckt und vielmehr als Einführung daherkommt. Schon die musikalische Begleitung von Berlinist hat mich sofort in den Bann gezogen, aber als deutlich wurde, dass die 2D-Welt aus wunderschön gemalten Elementen besteht, hat Gris mich gehabt. Gris ist die Protagonistin, die wir im Spiel auf ihrer Reise steuern, welche sich als tiefsinnig, anspruchsvoll aber wunderschön entpuppt.
Ich achte -was kaum eine Überraschung sein mag- auch bei Videospielen sehr auf Qualität und eine gesamtheitlich gute Umsetzung. Es könnten problemlos technologische Features fehlen, aber ich mag nicht auf Detailverliebtheit verzichten oder gar eine mangelhafte Inszenierung ertragen. Ein schlechter Soundtrack kann mir die Spielstimmung gänzlich trüben. Wer einem C64 hatte oder -wie wir- einem CPC464 weiß, was 8bit bedeutet und schon damals wurde man in den Bann gezogen. Elite hat es mit einer sehr simplen Vektorgrafik geschafft, dass ich mir als Raumschiff-Kommander vorkam -damals in den 80ern- und die abenteuerliche Reise als Zauberer in Sorcery+ war grafisch die Oberklasse. In solchen Spielen konnte man sich verlieren!
Von da an haben mich immer kreative Ideen angezogen und auch die Tatsache, ob die Macher sich Mühe gegeben haben, ein gutes Produkt umzusetzen. Wie damals, so gilt auch heute noch: schnell zusammengefrickelte Games schlagen nicht ein wie ein Torpedo, sondern verpuffen wie nasse Chinaböller – jedenfalls bei mir.
Grafik sagt noch gar nichts
Ich habe seit den späten 80ern die ganze Grafikentwicklung mitgemacht und es war eine irre Reise mit so wahnsinnig vielen Augenöffnern, dass einem über lange Strecken der Mund staunend offenblieb und man stetig Gefahr lief, die Tastatur einzunässen. Ich könnte unzählige Momente aufzählen, in denen ich als Jugendlicher erfurchtsvoll vor einer neuen Grafikpracht saß und die neue Engine anspielte. Und dann kommt Gris und schafft das gleiche mit einem ganz simplen 2D-Setting, mit gemalten (!) Elementen und Effekten, die an Wasserfarben oder Aquarelle anmuten … und ich staune wie früher.
Auf den Punkt gebracht ist Gris ein Beweis für die wahre Wirkung von künstlerischer Kraft in Spielen, ohne die diese eben keine Meisterwerke sein können. Gris ist ein Meisterwerk, weil es toll inszeniert ist, eine ganz einfache Steuerung besitzt, von einer wunderschönen Musk begleitet wird, die sich noch dazu dynamisch an die Spielsituationen anpasst und im Laufe des Spieles schafft, Emotionen zu wecken. Es geht nicht um einen Highscore oder eine irre schwer zu erlernende Steuerung. Man braucht keinen High-End-PC sondern einen ruhigen Moment, eine abgedunkelte Atmosphäre, idealerweise gute Kopfhörer und Ruhe, um in eine tiefsinnige Welt einzutauchen. Und genau das ist Gris: emotional, echt, nah dran – wie ein Traum, den man spielen darf.
Warum Gris wirkt
Ich habe viele Games hinter mir und immer, wenn ein Spiel mich abholt, bin ich begeistert. Mir ist mittlerweile egal, wie es das Game schafft und es ist auch keine Frage von Physikeffekten oder hochwertiger Beleuchtung: oftmals ist es einfach Echtheit.
Im Falle von Gris kommt als Topping obendrauf, dass man sich durch das Fernbleiben von Töten, Kämpfen und Gemetzel auf einer ganz anderen Ebene mit der Protagonistin identifizieren kann. Das Fehlen von Gewalt als Lösung bzw. Mittel zum Zweck schafft Raum für Harmonie, durch die man sich entspannt und friedlich dem Spiel folgt. Auch wenn manche Zwischenziele etwas versteckt sind, ist der lineare Spielverlauf perfekt dazu geeignet, nach schweren Tagen abzuschalten.
Natürlich gilt es auch in Gris, einen Konflikt aufzulösen und manche Situation ist klar dramaturgisch inszeniert, aber nicht durch Konfrontation mittels Effekthascherei, Überforderung oder Übertreibung von Gewalt, sondern in Verkörperung eines Antagonisten, der sprichwörtlich das Anti zur Harmonie ist und dadurch wirkt. Ein wenig Drama muss sein, ein wenig Stress (oder auch Nachdruck) darf in Spielen nicht fehlen, aber eben gut portioniert und genau hier trumpft Gris auf ganzer Länge. Die Geschichte ist eine Reise und so erlebt man sie auch: es gibt Höhen und Tiefen, Licht und Schatten und immer ist man voll dabei.
Das Ohr wird verwöhnt
Man kann es kurz sagen: der Soundtrack, also die musikalische Untermalung im Spiel selbst, gehört zum besten, was das Genre zu bieten hat. Die Musik passt perfekt zum Stil des Spiels und ohne diese wunderschönen Klänge dürfte das Game kaum wirken. Für Menschen mit Hörbehinderung mag dies hart klingen, aber die Musik ist eben als Stilelement eingebracht, was man leider nicht wegdiskutieren kann. Glücklicherweise kann man den Score auch separat käuflich erwerben oder auf Spotify hören:
Weil der Score als Spielelement eine so hohe Wirkung erzielt, kann man ihn nach dem Durchspielen zwar problemlos hören, wird aber immer an die Reise erinnert, die man hinter sich hat. Das ist kein Nachteil, denn auch ohne Gris gespielt zu haben wirken einige Titel zauberhaft in einer entsprechenden Playlist.
Wie man spielt
Ich würde Gris grundsätzlich auch für Anfänger und Laien empfehlen, wenn sie ein wenig Geduld mitbringen und keinen Druck verspüren, fertig zu werden. Geübte Spieler werden kaum vor Herausforderungen gestellt was die Steuerung und Spielmechanik angeht, allerdings sind manche Rätsel etwas knifflig und bedürfen einiger Versuche. Das tut der Sache keinen Abbruch, denn da man nicht sterben kann, läuft man einfach wieder an die Stelle zurück und versucht es nochmal: danke für diese Umsetzung!
Die Spielfortschritt wird durch eine grafisch farbenfroher und komplexer werdende Spielwelt dargestellt, sodass man hierdurch mehr und mehr in die Welt hineingleitet, die durch Kapitel getrennt ist. Auf seinem Weg sammelt man Lichter, die wiederum Brücken zu bislang unterreichten Stellen bauen. Die Rückmeldung, was fehlt, wird nach den ersten Leveln schnell klar und manche Fähigkeiten erlernt man automatisch während des Spielens und kann diese auch schnell verinnerlichen. Es geht bei Gris nicht um die Meisterung einer Spielsteuerung, wie beispielsweise bei Super Mario, sondern eben um eine Reise, auf der Hügel vor einem liegen und keine Berge.
Auch wenn sich Gris in wenigen Stunden durchspielen lässt, wirkt es trotz seiner Kurzweil nicht abgehackt oder gehetzt. Die Geschichte ist dann auch zu Ende erzählt und noch mehr Fähigkeiten oder Kapitel würden nur zu einer künstlichen Verlängerung des Spieles führen. Es ist gut genau so, wie es ist.
Wie alt sollte man für Gris sein?
Da wir keinerlei expliziten Darstellungen und Handlungen erleben, kann man Gris sicherlich auch mit Kindern spielen, die in der Grundschule angekommen sind (USK-Freigabe: 6 Jahre). Sie werden die tiefe Bedeutung des Spieles vielleicht nicht erfassen, aber dessen Schönheit und Einfachheit dürfte beruhigend wirken. Einzig die Lösung mancher Rätsel könnte zur Hürde werden: tendieren die kleinen Racker zur Raserei, sobald der zweite Anlauf eines Sprungs misslingt, wäre ein beruhigendes Buch wohl die bessere Wahl.
Ansonsten spreche ich eine uneingeschränkte Spielempfehlung aus. Ganz bewusst. 😉
Auf welchen Platformen ist Gris verfügbar?
Mittlerweile kann zwischen Android, iOS, macOS, Microsoft Windows, Nintendo Switch und der Playstation 4 wählen. Meine Rezension bezieht sich auf die Windows-Version, allerdings dürften sich die Unterschiede lediglich durch die unterschiedlichen Eingabegeräte ergeben.
Screenshots aus „Gris“
Weiterführende Links:
Webseite der Entwickler: https://nomada.studio/
Webseite der Soundtrack-Komponisten: https://www.berlinistmusic.com/
Gris auf Steam: https://store.steampowered.com/app/683320/GRIS/
Eine tolle Reise wünscht
Stephan Keßler