Mit Angst den Tag beginnen

Viele Menschen erwachen morgens und vollbringen Großes, überwinden sich zu staunenswerten Leistungen oder erschaffen Werke, vor deren Kunst wir uns verneigen.

Wenn ich in die Morgenluft hinaustrete, fürchte ich mich vor dem, was mir nicht gelingen oder wo mir die Kontrolle über eine Situation fehlen wird.

Meine Gedanken sind erfüllt von du-hast-dieses-wieder-nicht-geschafft und du-hast-das-wieder-nicht-gut-genug gemacht. Wie ein Lieblingssample, welches Dauerschleifen durch den Kopf dreht.

So ist es immer.

Ich bewundere und bestaune Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, die kämpften, sich durchbissen und über Grenzen hinaus gingen, um an Punkte zu gelangen, die für andere unerreichbar schienen.

Während diese Menschen im Außen diese Punkte erreichen, grenzen mich meine Grenzen im Innern ein, halten mich zurück. Zuversicht ist eigentlich ein positives Lebensgefühl, eine innere Einstellung die man einnimmt, um das positive Lebens-Ja zu feiern – doch für mich ist es ein Wort, das mich innerlich nicht abholt. Ich weiß aus Erfahrung, dass im Leben das Meiste besser wird, sich ins Gute entwickelt oder mit der Zeit herauswächst oder sich zumindest so verändert, dass es sich nicht wie ein Anker anfühlt. Aber ich empfinde es nicht so.

Wenn ich morgens aufstehe, habe ich Angst vor der Bestätigung, dass ich nicht ausgereicht, nicht alles richtig gemacht habe. Ich drehe mich um mich selbst und die Frage, warum ich nicht hinauskomme aus dem Gedankenrad. Warum ist mein Anker so schwer?

Manche Menschen berichten vom inneren Frieden, der inneren Ruhe. Von Momenten, an denen Sie sprichwörtlich an nichts denken.
Ich kenne das nicht.

Mein Gedankenbrei besteht aus zweifelnden Phrasen, Vorstellungen von möglichen Fehlversuchen und Konflikten, die wegen mir entstehen oder in die ich hineingezogen werde. Ich glaube, dass man mich loswerden will, dass ich im Weg bin, dass es andere besser ohne mich haben. Ich bin überzeugt davon und versuche dennoch, es wegzukämpfen – wie in einem Ringkampf gegen einen Gegner höherer Gewichtsklasse.

Menschen bewundern und speichern mit ihren Kameras oder Handys Sonnenuntergänge, während ich keine Fotos mehr davon mache, weil ich mit den Bildern nicht zufrieden sein werde. Es fehlt immer ein Quentchen zur Perfektion, ein My, bis es Richtig ist. Die Natur zu erleben ist mir fremd geworden, weil sie mich daran erinnert, wieviel besser andere sie zeichnen, fotografieren oder beschreiben können. Absurdität in Perfektion.

Das, was andere Leben nennen, ist für mich eine Aneinanderreihung von Problemen, die ich nicht richtig lösen kann, die zu Ergebnissen führen, die mich unglücklich machen und der Suche nach Dingen, die mich von den Gedanken ablenken.

Als ich im Internet die Beisetzungsrede von Kevin Coster sah, der über seine Kinderfreundin Whitney Housten sprach, erkannte ich mich an vielen Stellen wieder. Irgendwann hatte sie ihn auf dem Höhepunkt ihrer Karriere gefragt, ob sie für den nächsten Auftritt denn gut genug wäre.
Ich bilde mir nicht ein, ein Virtuose in irgendetwas zu sein, außer im selber verzweifeln, aber die Kernfrage des Zweifels, die kenne ich.

Bis man Galle erbricht, weil man nachts vor lauter Gedankenkarussell nicht in den Schlaf findet.

Irgendwann werden Gedanken zu Realität und man verliert den Bezug zur echten Wirklichkeit, versteht Menschen nicht mehr, kann Verhaltensweisen nicht nachvollziehen oder Zeichen nicht richtig deuten. Man meidet instinktiv Menschen, die destruktiver Natur sind, weil sie den Nährboden düngen, auf dem die Pflanze Zweifel gedeiht. Ein Teil im Selbst bleibt trotzdem irgendwie abwehrbereit.

Wenn man dann doch ins Bodenlose fällt, weil sich bestätigt was man immer schon wusste: es hat nicht gereicht. Man hätte es ja von vornherein besser wissen müssen, da man es allen um sich herum schon wieder schwer macht.

Der größte Schmerz erwächst aus weggedrückter Scham vor dem eigenen Versagen.

Ausgelacht zu werden heisst bestätigt zu werden.

sk