Runter vom Kausal-Sockel oder: komm mit mir ins Aberglaubeland. [Update]

Zugegeben, wenn es an die haarigen Themen im Leben geht, stehe ich gerne in den Startlöchern für eine gepflegte Diskussion. Dann und wann wird dies zur Herausforderung, weshalb ich stets bemüht bin, mein Gegenüber nicht einfach nur zu beziegen. Ich schätze den anspruchsvollen Austausch von Fakten, Ansichten, Meinungen und mein Herz geht auf, wenn das verhältnismäßig ohne Emotionen auf Sachebene vonstattengeht, zumindest aber ohne Beleidigungen. Für manche Mitmenschen mag ein gepflegter Streit gleichzeitig Lebensqualität bedeuten und wird als reinigendes Gewitter empfunden – ich bin mir nicht sicher, ob ich dem ganz folgen mag. Bestimmt ist es so, dass sich hochkochende Emotionen früher oder später zu einem Punkt auftürmen, an dem man seinem Unmut Luft macht und Dinge auf den Tisch bringt, die schon lange unter der Oberfläche schwelen. Die Gefahr besteht dann darin, dass man zum Angriff übergeht und seinen Gegner eben zu besiegen versucht. Der Austausch kommt spätestens hier zum Erliegen, denn von da an geht es nunmehr um Macht und Ego-Themen sowie -wenn es ganz wüst wird- Selbstverteidung. Warum der Austausch auf Sachebene gerade in aktueller Zeit so oft scheitert, liegt überwiegend an der Angst, die vielen in den Knochen steckt und früher oder später zum bestimmenden Faktor wird. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.

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‚Gris‘ bezaubert und umspielt die Sinne (Spielrezension #1)

Ganz sanft gespielte Töne, fast verspielt, aber mit einer nachdenklichen, träumerischen Note, begleiten mich, während ich die ersten Bilder von Gris erlebe, die erste Vorstellung sozusagen, die sich sehr unaufdringlich als Tutorial versteckt und vielmehr als Einführung daherkommt. Schon die musikalische Begleitung von Berlinist hat mich sofort in den Bann gezogen, aber als deutlich wurde, dass die 2D-Welt aus wunderschön gemalten Elementen besteht, hat Gris mich gehabt. Gris ist die Protagonistin, die wir im Spiel auf ihrer Reise steuern, welche sich als tiefsinnig, anspruchsvoll aber wunderschön entpuppt.

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Wer sich nicht empört ist ein Schläfer oder: mehr Mittelweg tut Not.

Fragte man mich heute, welche Herausforderung während der bisher erlebten (und bislang überlebten) Corona-Pandemie mich die meiste Kraft, die größten Nerven und längste Kondition erforderte, so ist meine Antwort klar: Kontenance zu wahren. Als die ersten Berichte einer neuen viralen Infektionskrankheit aufkamen, hat man recht verhalten Nachrichten interpretiert und gehofft, dass es schon alles nicht so schlimm kommen wird. Bekanntlich irrt man sich im Leben und manches ist auch nicht vorherzusagen, auch wenn dies viele Menschen von anderen gerne einfordern. Spätestens als klar war, dass eine große Pandemie durch die Bevölkerung zieht und man teils zu unangenehmen Konzepten greifen muss, um eine unkontrollierte Seuche zu vermeiden, stellt sich heraus, dass man fast weniger sprachlos wegen der vielen Toten und Menschen mit Spätfolgen ist, als vielmehr wegen des Verhaltens großer Teile unserer Gesellschaft.

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Konflikt mit der inneren Wahrheit.

Wenige Tage und Wochen nach den verheerenden und mitunter sintflutartigen Überschwemmungen wird mir als Nichtbetroffener mehr und mehr bewusst, was da eigentlich geschehen ist. Die Starkregenfälle haben uns knapp verfehlt und sind nur wenige Kilometer weiter vorbeigezogen, sehr zum Leidwesen einiger Dörfer, Städte und gar ganzer Landstriche. Schaut man sich die Berichterstattung an, bleibt man sprachlos zurück, kann das Ausmaß selbst nicht recht begreifen. Der Verstand weiß, dass ganz, ganz viele Menschen einen mehr als herben und mit Sicherheit lange nachklingenden Schicksalsschlag erdulden mussten und gleichwohl weiß man, dass man das nur nachempfinden kann, wenn man selbst betroffen ist. Ich weiß, wie Du dich fühlst. Selten ist ein Satz von Nichtbetroffenen unangebrachter. Interviewte Menschen finden kaum Worte um das Unfassbaren zu beschreiben, das Unausprechliche zu benennen und genau dies ist, was am Ende alles sagt. Während Menschen mit der Katastrophe kämpfen -glücklicherweise mit unzähligen hilfreichen Händen- erinnere ich mich meines eigenen Verlustes und schäme mich sogleich, denn andere haben es gerade schwerer. Ich merke, wie ich dem doch begegnen muss und wage den Versuch, passende Worte zu finden.

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Dinge die gut tun und Türen öffnen.

Draußensein. Frischluft. Sonnenlicht. Bewegung. Mitwanderer. Zugegeben: anfangs war ich ob dieser Rahmenbedingungen doch sehr herausgefordert, als ich mich Barbara von Klaas‘ Wandergruppe anschloss. Weil das Universum ja clever ist, habe ich als erste Wanderung sogleich einen 50km-Gewaltmarsch bei 45 Grad im Schatten -durch die Wüste- absolvieren dürfen … jedenfalls fühlte es sich so an. Der Überforderung entlarvt, war mein inneres Gleichgewicht sagen wir schiefstehend, aber stabil: das Durchschnittsalter war gefühlt 70 und das geht ja nicht, dass mir die mehr als rüstige Rentnertruppe davonläuft. Da muss man sich anerkennend verneigen vor soviel Disziplin und Sportlichkeit im hohen Alter! Natürlich übertreibe ich mit den 50km ein wenig, aber bergauf-bergab bei hochsommerlichen Temperaturen und vielen Etappen unter freiem (!) Himmel als Schreibtischbleichgesicht haben rote Spuren auf meiner behüteten Haut hinterlassen. Das ist doch bestimmt schmerzensgeldligaverdächtig! Schließlich hat mich die Tatsache, dass der Gruppenvorderste zugleich Gruppenältester war, dann doch Demut gelehrt. Vielleicht muss nicht erwähnt werden, dass mein freches Mundwerk -auf meinen Körper bezogen- die längste Kondition an den Tag legte. Auf lange Sicht hatte allerdings mein Muskelkater den längsten Atem.

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Man ist kein Depressiver! Man hat Depressionen.

Als ich Torsten Sträter dies sinngemäß während eines Interviews sagen hörte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Meine emotionale Reaktion war deutlich und die meines Ego’s entsprechend distanziert: wieso bin ich da nicht selbst drauf gekommen? Ganz einfach: weil ich mich mit Depressionen identifiziert hatte und es bewusst nicht mehr als Krankheit wahrnahm. Da sitzen also Torsten Sträter und Kurt Krömer in einem Interview (ist am Beitragsende verlinkt) und Krömer spricht Torsten auf seine öffentliche Äußerung an, an Depressionen zu leiden. Es beginnt ein offenes, schnell intimer werdendes und sehr respektvolles Gespräch über die Krankheit Depressionen mit vielen sehr persönlichen Nuancen beider Beteiligten. Es zeigt: öffentlich zu dieser Krankheit zu stehen ist teilweise immer noch mit einem Stigma versehen und die innere Haltung hierzu kann sehr ambivalent sein – beides weiß ich aus eigener Erfahrung.

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Schuld erzeugt Spannung.

Wenn man unsere Gesellschaft mit der Kausalitätsbrille betrachtet, muss man früher oder später die Wahrheit anerkennen, dass sie im Innern auf Schuld aufgebaut ist. Gleichwohl muss man historisch das Thema Schuld anders betrachten und sich der Wahrheit öffnen, dass Schuld nicht gleich Verantwortlichkeit ist. Unbestritten ist die Tatsache, dass unsere Vorfahren vor 70 Jahren mit allen Auswirkungen, die der Nationalsozialismus nach sich zog, im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte geschrieben haben, aber eben nicht ruhmreich oder anerkennenswürdig. Wer heute den Nationalsozialismus oder gar den Holocaust leugnet oder abmildert, brandmarkt sich selbst als Ignoranten niedrigen Bildungsniveaus oder gleich als Menschenfeind. Es gibt nur zwei positive Dinge, die wahrhaft aus der Zeit des Dritten Reiches entwachsen sind: der Mut, trotz aller Gefahren doch menschlich zu sein und sich damit opportun gegen die Nazis zu stellen, sowie die heute weit verbreutete Erkenntnis, dass dieses System, diese Weltanschauung und alles, was die Nazis an Menschenfeindlichkeit ausmachten, nichts Positives und nichts Wertiges hervorgebracht hat. Es gibt keinen Mehrwert durch Menschenhass!

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Das beste Fundament fürs Leben.

Vielleicht ist es eine klassische Familien-Konstellation zwischen mir und meinen Eltern, die sich insofern äußert, als dass ich meine Herzkomponente ursächlich als Samen meiner Mutter betrachte und die Kopfnote von meinem Vater erhielt. Damit ist die Rollenverteilung erstmal stereotyp erklärt, aber nicht falsch oder wertend betrachtet. Wie bereits in vorigen Beiträgen erwähnt, setzte sich der melancholische Einschlag aus der mütterlichen Ursprungsfamilie in mir deutlich fort, aber eben auch die (väterlich) sachliche Denkermentalität und mitunter als kühl empfundene Logik – ohne jedoch unsensibel zu sein: jedenfalls nicht prinzipiell. Weder das Eine, noch das Andere stellt sich für mich heute als Vor- oder Nachteil dar, denn ich schöpfe mehr und mehr das Potential beider Facetten aus, die mich zur zweiseiten Medaille formen. Aus welchem Holz diese geschnitzt ist, mögen andere beurteilen.

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Das Problem mit der Lücke oder: Das Universum kann hellsehen.

Sollte jemand an dieser Stelle einen astronomisch gefärbten Beitrag erwarten (oder erwünschen), so muss ich leider zumindest diesbezüglich eine Absage aussprechen. Sonne, Mond und Sterne machen wir ein anderes Mal – und auch das mit den Tarot-Karten heben wir uns für einen zukünftigen, deutungsschwangerereren Moment auf. Interessanterweise werde ich wohl aus beiden Astro-Lagern den einen oder anderen Kopfschüttler ernten, aber das ist sowohl zu erwarten, als auch zu verschmerzen.

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Die Last der unaussprechlichen Trauer. (Teil 5)

Lieber Leser:innen, dieser Beitrag ist Teil 5 der Themenreihe Schienensuizid.
Der vorhergehende Beitrag ist folgender: Wenn die Welt still steht. (Teil 4)

Ich ertappe mich ab dem Tag, als mein Bruder seinen Lebensatem aufgab, mehr und mehr dabei, wie ich meinen Atem anhalte, um der schmerzvollen Wellen zu begegnen, die immer wieder heranrollen. Es heißt nicht umsonst Lebensatem, denn ich gerate in eine Spirale aus wegdrücken, Leben-Anhalten, kämpfen und portionsweiser Akzeptanz dessen, was geschehen ist. Welch‘ entlarvende Erkenntnis, dass durch völlige Verzweifelung ein Mensch sein Leben loslässt und ich es dadurch (trotzdem) nicht schaffe, meine Blockaden zu durchbrechen. Ebenso ist es mir unverständlich, warum ein so ausserordentliches Erlebnis das Bollwerk nicht zum Einsturz bringt – welche Kräfte halten alles zusammen? Wie muss man dem Begegnen? Ist es eine Typfrage? Also eine charakterliche Eigenschaft, ähnlich eines sortierten Kartenblattes, welches man auf die Hand bekommt, mit dem man nicht jede erdenkliche Gewinnerstraße auslegen kann? Oder liegt dem ein unbändiger Lebenswille zugrunde?

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